Jahreswechsel und "Storytelling"

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Die Nacht von Sylvester auf Neujahr ist ein besonderes Tor. Auf der Sylvesterseite ist es versehen mit einer Klinke, auf der Neujahrsseite mit einem Knauf.  Fällt das Tor um Null Uhr (krachend) hinter uns ins Schloss, –  dann gibt es kein Zurück. Etwas verdutzt und vom rasanten Tempo überrascht, schauen wir in die neue Zukunft.
Was bleibt uns dann vom gerade abgelaufenen Jahr? Oder was bleibt uns überhaupt von unseren Jahren, und was bleibt uns von den längst verschollenen Jahren unserer Vorfahren? Eigentlich ist es nur die Erinnerung die bleibt! Das ist eine im ersten Augenschein recht dürftige Ausbeute – aber es ist mehr als das?
„Wir sind Erinnerung“ titelt der amerikanische Schriftsteller Daniel Schacter sein Buch. Denn unser Selbstverständnis, unsere Identität beziehen wir aus der Vergangenheit, auch aus dem Leben unserer Vorfahren und aus dem Wissen um das Gewesene. Dieses Wissen macht uns zu jenem Menschen, der wir heute sind und der dabei ist, mit seinem Tun und Denken die Zukunft zu prägen. Wir sind wie Lokführer eines langen Zuges - die Lasten, Freuden und Errungenschaften der früheren Generationen fahren in den anhängenden Waggons mit.

Deshalb ist es wichtig, dass Alt und Jung, wir alle, miteinander sprechen, einander erzählen, was ist und was gewesen ist. Erzählen und Zuhören schaffen einen gemeinsamen, die Generationen umfassenden Erinnerungsraum. Das entfaltet die Kraft der Heilung und der Versöhnung mit all dem, was in der Erinnerung mitgetragen wird. Und es gibt denen, die alles nur vom Hörensagen wissen oder die gar ahnungslos waren, endlich das gegenseitige Verständnis, das wir so dringend zum Zusammenleben brauchen. An Sylvester fällt keine Türe ins Schloss, wir sind nur wieder um ein Jahr reicher an Erinnerungen. „Storytelling“, Geschichtenerzählen ist angesagt!

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